Zipser Kammer
Die Zipser Kammer (lateinisch Camera Scepusiensis, ungarisch Szepesi Kamara, slowakisch Spišská komora), seltner auch Kaschauer Kammer, 1557–1567 zeitweilig Administration oberungarischer Einkommen genannt, war eine königlich ungarische Finanzinstitution. Sie legte von 1539 bis 1848 die königlichen Abgaben und Einkünfte der Zips (Komitat Zips), bis Mitte des 18. Jahrhunderts aber auch ganz Oberungarns (etwa die heutige östliche Slowakei und darüber hinaus) fest, überprüfte die Einnahmen und leitete sie an die königliche Hofkammer weiter.


Ihr Sitz war in den Anfangsjahren die Burg Scharosch, danach Prešov (dt. Eperies), ab 1567 saß sie dauerhaft in Košice (dt. Kaschau), wo sie in der zentralen Hlavná ulica 68 ihren Hauptsitz hatte.[1] Das Gebäude wurde mit Ausnahme nördlichsten Traktes 1935 abgerissen und durch ein modernes Gebäude der regionalen tschechoslowakischen Finanzdirektion ersetzt. Dabei wurde in den Fundamenten der zwischen 1680 und 1682 vor den aufständischen Kuruzen unter Emmerich Thököly versteckte Goldschatz von Košice entdeckt, der wahrscheinlich aus dem Vermögen eines geflüchteten hohen Kammerbeamten bestand.
Aufgaben
In spätmittelalterlich–frühneuzeitlichen Ständestaaten gehörten Steuern nicht zur regulären Einnahmequelle der Herrscherhöfe und ihrer Kammern oder Kämmerer. Steuern wurden üblicherweise im Kriegsfall, besonders im Verteidigungsfall von Ständeversammlungen zeitweilig bewilligt und selbst eingetrieben. So war es auch im Königreich Ungarn, in dem der von hochadligen Magnaten gegenüber dem niederen Adel und Städten dominierte Ungarische Landtag in den langanhaltenden Türkenkriegen und den Kriegen zwischen dem osmanischen Vasallenstaat Fürstentum Siebenbürgen und dem Königlichen Ungarn der Habsburger zwar oft hohe Steuern beschloss, aber auch selbst eintrieb.
Einnahmequellen des Hofes waren direkte Abgaben königsunmittelbarer Personengruppen (Stände), Städte, Territorien und Berufsgruppen, die durch Privilegien und Regalien zu Abgaben an den König verpflichtet waren, oft mit Abgabenfreiheit an den Adel verbunden, was im 15. und 16. Jahrhundert aber bei einigen Dörfern und Städten umgangen wurde. Dazu kamen in geringerem Maße die Einnahmen königlicher Kammergüter und Handelszölle, die aber häufig verpfändet waren. In Oberungarn waren die wichtigsten abgabepflichtigen Gruppen: 1. die Zipser Sachsen, die nach dem Zipser Freibrief 1271 jährlich am Martinstag den „Martinszins“ (lat. terragium) an den König entrichteten, 2. die oberungarischen königlichen Freistädte, die für ihren Privilegien zu Abgaben an den Hof verpflichtet waren, die meisten waren im Städtebund der Pentapolitana als Interessenvertretung organisiert, 3. die oberungarischen Bergstädte in der südöstlichen Zips und dem südlich benachbarten Bodvatal (Ungarisches (Slowakisches) Erzgebirge), die nach dem königlichen Bergregal auf Edelmetalle und Salz den Bergzehnt und einige weitere Abgaben (darunter den Münzzins der Münzprägestätten) zu entrichten hatten, 4. die seit dem 15. Jahrhundert als Berghirten angesiedelten „Walachen“ (in Nordost-Ungarn meistens Russinen, später auch Goralen), die ebenfalls jährlich im Juli eine Abgabe an den König entrichteten, 5. der Stuhl der zehn Lanzenträger in der südlichen Zips, dessen königsunmittelbarer Kleinadel („Lanzenadel“) zu Abgaben verpflichtet war. Die Aufgabe der Zipser Kammer war, Personenzahl und Einkommen der abgabepflichtigen Stände und Städte zu schätzen, die jährlichen Abgaben festzulegen (gegen die es Möglichkeiten rechtlicher Einsprüche gab) und sie an den Hof zu leiten. Weil fast alle abgabepflichtigen Gruppen, mit Ausnahme der meisten „Walachen“, in der Zips, dem westlichen, reichsten Komitat Oberungarns und in der nahen Umgebung lebten, etablierte sich die Bezeichnung „Zipser Kammer“ für die Kammer Oberungarns. Weitere Aufgaben der Kammer war die Verwaltung der Kammergüter und der königlichen Zollstationen.
Im Gegenzug hatte die Zipser Kammer ohne Überweisung nach Pressburg (Hauptstadt des königlichen Ungarn im 16./17. Jahrhundert) oder Wien oder Mittelbewilligungen zurück die militärische Infrastruktur im sehr umkämpften Oberungarn, die Besoldung und Verpflegung der habsburgischen Truppen im Land, Bau und Instandhaltung der zahlreichen Festungen und Burgen oder Ausbau und Wartung der militärisch genutzten Straßen direkt zu finanzieren.[2]
Geschichte
Die mittelalterliche Vorgängerin der Zipser Kammer war die Königliche Kammer zu Kaschau, die seit 1297 nachweisbar ist und im 1671 abgerissenen Königshaus Kaschau ihren Sitz hatte. Sie war eine von vier königlichen Kammern im Königreich Ungarn des 14. und 15. Jahrhunderts und für die Abgaben, Zölle und Einnahmen des östlichen Ungarn, östlich (links) der Theiß und des nordöstlichen Ungarn (Oberungarn) zuständig, wozu neben den Abgaben der oben erwähnten Gruppen in Oberungarn auch die Bergbauabgaben im Siebenbürgischen Erzgebirge und in der Maramuresch, sowie die Abgaben der südlicheren „Walachen“ (sprachlich-ethnische rumänische Berghirten der Ost- und Südkarpaten) gehörten. Neben der Kammer in Kaschau existierte eine weitere königliche Kammer in Buda für die ungarischen Tieflandsgebiete westlich (rechts) von Donau und Theiß, eine Kammer in Pressburg/Preßburg (Bratislava, damals ungarisch Pozsony, slowakisch Prešporok) für die heutige westliche und mittlere Slowakei (damals nördliches Niederungarn, einschließlich der niederungarischen Bergstädte) und die Kammer in Zagreb (dt. Agram) für das in Realunion verbundene Königreich Kroatien und Slawonien.[1] Siebenbürgen als Verbund der drei ständischen Nationen (Unio Trium Nationum) der Siebenbürger Sachsen auf dem Königsboden, der Szekler im Szeklerland und der ungarischen Adligen auf dem Komitatsboden hatte eine eigene ständische Finanzverwaltung.
Im Mittelalter waren Kammern noch keine institutionalisierten Ämter, sondern ein Kammergraf wurde mit dem Posten auf Lebenszeit belehnt und erledigte die Aufgaben mit eigenen Mitarbeitern. Beispielsweise erhielt der erste überlieferte Kammergraf von Kaschau, Hanuš von König Andreas III. die Wälder zwischen Košice und Gelnica.[1] Schon im Spätmittelalter waren die Kammergrafen, deren Arbeit viel Verwaltung und gutes Einkommen, aber kein dauerhaftes Prestige der Familie bedeutete, zunehmend keine hochadligen Magnaten mehr, sondern universitär ausgebildete Angehörige des niederen Adels oder des Städtebürgertums. Schon im Spätmittelalter unterstanden den königlichen Kammern von Kaschau und Pressburg auch jeweils eine Bergkammer und eine Salzkammer unter jeweiligen Berg- und Salzgrafen. Alle vier regionalen Kammern unterstanden dem königlichen Schatzmeister.[1]
Die regionale Kammerverwaltung änderte sich grundlegend mit dem Ungarischen Bürgerkrieg 1526–33 zwischen den gewählten Königen Johann Zápolya und Ferdinand I. von Habsburg, in den das Osmanische Reich intervenierte, was zur Dreiteilung Ungarns in Osmanisch-Ungarn, das königliche Ungarn der Habsburger und das pro-osmanische Wahlfürstentum Siebenbürgen führte. Damals gehörte Kaschau zum Herrschaftsbereich Johann Zápolyas, der mehrere Jahre im Königshaus von Kaschau residierte, wo ihm die Königliche Kammer von Kaschau unterstand. Nach seinem Rückzug nach Siebenbürgen nahm er sie mit, wo sie sich zur fürstlichen Kammer Siebenbürgens besonders für das Partium (Teile der ungarischen Komitate nördlich und westlich des Kernlandes Siebenbürgens der drei Nationen, die ebenfalls in siebenbürgisches Herrschaftsgebiet fielen) entwickelte.

Der größte Teil Oberungarns, darunter die Zips, war dagegen Ferdinand loyal und wurde von habsburgischen Truppen gehalten. In dieser Phase beauftragte Ferdinand 1539 den aus Patschkau in Schlesien gebürtigen und an der Universität Krakau ausgebildeten Humanisten, Geologen, Hydrologen, Balneologen (Begründer des Bäderheilwesens in Oberungarn), Verwaltungsfachmann, Hauptmann der Burg Scharosch und Statthalter des Komitats Scharosch, Georg Wern(h)er (1490–1556, lat.: Georgius Wernherius/Vernherius, ung.: Wern(h)er György, slowak. Juraj Wern(h)er) mit den Kammeraufgaben im habsburgischen Oberungarn, womit die Zipser Kammer entstand. Wernher residierte anfangs auf der Burg Scharosch, ab 1555 in Prešov (ung.: Eperjes, dt. Eperies), 1567 zog die Zipser Kammer endgültig nach Kaschau. Der frühabsolutistische Ausbau zu einem besoldeten königlichen Amt begann schrittweise, als der Kammer 1554 ein erster Finanzbeamter, 1557 ein weiterer, ein Schreiber und Schatzmeister zugesprochen wurde. Aufgrund der entlegenen Lage Oberungarns im königlichen Ungarn der Habsburger agierte die Zipser Kammer schon seit den 1550er/60er Jahren faktisch unabhängig von der Ungarischen Kammer in Pressburg, die für die übrigen Teile des königlichen Ungarns zuständig war mit Sitz in dessen Hauptstadt. Sie fiel unter die Kontrolle des Oberungarischen Landeshauptmanns und wie alle Landeskammern (bereits seit Maximilian I.) unterstand sie der Hofkammer der Habsburger, die als Wiener Hofkammer bezeichnet wird.[1]
Literatur
- Slowakische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.): Encyklopédia Slovenska: Spišská komora. V. (R–Š). Verlag Veda, Prag 1981, S. 792 (slowakisch, univie.ac.at).
- Peter Rauscher et al.: Finanzen und Herrschaft. materielle Grundlagen fürstlicher Politik in den habsburgischen Ländern und im Heiligen Römischen Reich im 16. Jahrhundert. In: Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. Band 038. Böhlau Verlag, Wien 2008, ISBN 978-3-7029-0472-2.
Weblinks
- Szepesi Kamara. In: katolikus.hu. (ungarisch).
Anmerkungen
- Encyklopédia Slovenska: Spišská komora. Band V (1981).
- Magyar Katolikus Lexikon: Szepesi Kamara (Eckart 1946).