Die im vorangegangenen Kapitel festgestellte Tatsache, dass die Größe unter günstigen Voraussetzungen (wie z.B. eine kinetische Energie, die eine homogene Funktion zweiten Grades in der Geschwindigkeit ist und die wie die potenzielle Energie nicht explizit von der Zeit abhängen soll, keine Nicht-Potenzialkräfte sowie evtl. eine verwendete Eichfunktion, die gleichermaßen nicht explizit von der Zeit abhängt) mit der Gesamtenergie zusammen fallen kann, macht sie besonders attraktiv, um mit ihrer Hilfe Bewegungsgleichungen aufzustellen. Denn die Gesamtenergie lässt sich ja genauso leicht angeben wie die natürliche Lagrangefunktion und den Energieerhaltungssatz haben wir ja beispielsweise auch schon zum Auffinden der Bewegungsgleichung beim Federpendel erfolgreich genutzt (siehe Kapitel über Koordinatentransformationen). Das Ziel, verallgemeinerte Koordinaten q möglichst so zu wählen, dass die Lagrangefunktion darin zyklisch wird und somit die zugehörigen verallgemeinerten Impulse Konstanten werden, führt zum Bestreben, I mittels des verallgemeinerten Impulses als Funktion von statt der Geschwindigkeit darzustellen: Denn auf diesem Weg könnten Koordinaten durch Konstanten ersetzt werden, wenn sich herausstellen sollte, dass einige (d.h. im hier noch nicht betrachteten mehrdimensionalen Fall, in dem mehrere verallgemeinerte Koordinaten und zugehörige Impulse auftreten werden) verallgemeinerte Impulse Konstanten sind, was das Auffinden von Bewegungsgleichungen sicherlich erleichtern würde.
Gehen wir wieder vom allgemeinen Fall aus, dass wir die (natürliche) Lagrangefunktion L eichen und dadurch die Funktion erhalten, sowie neben Potenzial- auch Nicht-Potenzialkräfte f zulassen, so dass sich die Euler-Lagrange-Gleichung zu ergibt. Dann wird der verallgemeinerte oder kanonische Impuls :
Er kann nun nach der Geschwindigkeit aufgelöst
werden, woraus sich als Funktion v u.a.
des kanonischen Impulses ergibt: .
Nach dem mathematischen Satz über implizite Funktionen ist diese Auflösung
aber nur möglich, wenn
gilt. Diese Funktion setzen wir für in die
"Energiefunktion"
ein und erhalten dadurch die sog. "Hamiltonfunktion":
die somit eine Funktion von q und
statt einer Funktion von q und geworden
ist, wie dies ja bei der Lagrangefunktion
der Fall ist. Von der Hamiltonfunktion bilden wir nun das totale Differenzial,
um durch einen Vergleich mit der Euler-Lagrange-Gleichung Bewegungsgleichungen
zu finden, die dann aber mit Hilfe der Hamiltonfunktion (statt der
Lagrangefunktion) formuliert werden:
Ersetzen wir hierin
noch mit Hilfe der Euler-Lagrange-Gleichung
und durch
,
dann erhalten wir:
so dass also folgende Gleichungen gelten:
Die letzten beiden Gleichungen sind die sog. "Hamilton'schen
Bewegungsgleichungen" oder werden auch "kanonische
Gleichungen" genannt. Aus dem vorangegangenen Kapitel
kennen wir zudem noch den Zusammenhang zwischen den beiden Größen
und
als . Die
Analogie hierzu, nämlich ,
ist jedoch ein wenig trügerisch und daher lediglich "symbolisch"
aufzufassen, also bitte nicht "zu wörtlich"
zu nehmen: Warum dies der Fall ist, wird noch gegen Ende dieses Kapitels
gezeigt.
Am Beispiel des Federpendels lässt sich dies alles wieder sehr leicht untersuchen. Hierzu gehen wir z.B. von der folgenden geeichten Lagrangefunktion aus:
zu der der kanonische Impuls
gehört (mit und einem konstanten Faktor
A). Den verallgemeinerten Impuls
können wir nach der Geschwindigkeit auflösen,
,
um sie anschließend in die Hamiltonfunktion
einzusetzen. Auf diese Weise ergibt sich
und H sind also gleich, was ja auch
so sein muss, da die Eichfunktion M nicht explizit von der Zeit
abhängt, d.h weil gleich
Null ist.
Dass die Hamilton'schen Gleichungen gegenüber den Lagrange'schen Bewegungsgleichungen auch wirklich völlig gleichwertig sind, muss hier aber noch gezeigt werden. Wir haben zwar bereits gesehen, dass aus den Lagrange'schen Bewegungsgleichungen die Hamilton'schen Gleichungen folgen. Wenn Lagrange 'sche und Hamilton'sche Mechanik zueinander völlig äquivalent sein sollen, dann muss sich umgekehrt aber auch aus den Hamilton'schen Gleichungen die Euler-Lagrange-Gleichung ergeben. Ausgehend von der Hamiltonfunktion und der Hamilton'schen Gleichung sowie der Definition des kanonischen Impulses rechnen wir folgendes nach:
was ja tatsächlich die Euler-Lagrange-Gleichung ist. Aus der eher
"symbolischen" aufzufassenden (und eigentlich
nicht korrekten) Gleichung
folgt durch Einsetzen von ,
und außerdem noch direkt .
Beide Theorien sind also gleichwertig.
Bei der Herleitung der letzten Gleichung sind wir jedoch ein wenig nachlässig gewesen: wir haben dort nämlich nicht berücksichtigt, dass in die Geschwindigkeit u.a. eine Funktion von ist, d.h. gilt, während hingegen in H die Geschwindigkeit nicht eine Funktion von sondern von ist, d.h. dort gilt. Mittels und erhält man daher folgenden Zusammenhang zwischen und einer Größe, die aber nur beinahe so aussieht wie H:
worin
nicht gleich
ist, da im ersteren Ausdruck bzw. v
noch von statt von
abhängt. Die Gleichung
ist aus diesem Grund allenfalls "symbolisch"
zu verstehen. Der Zusammenhang
zwischen
und
gilt hingegen exakt und führt mit
tatsächlich auf .
In diesem Kapitel sind wir sehr allgemein von der geeichten Lagrangefunktion statt von der natürlichen Lagrangefunktion L ausgegangen und sind dabei zu den Hamilton'schen Gleichungen der (als voneinander unabhängig geltenden) Variablen und bezüglich der Hamiltonfunktion gelangt. Wenn wir die Eichfunktion gleich Null setzen, erhalten wir automatisch die Hamilton'schen Gleichungen zu den Variablen und hinsichtlich der Hamiltonfunktion H. Wir können uns aber auch die Frage stellen, ob die Hamilton'schen Gleichungen in den Variablen und von H, d.h. und , gelten, wenn die Hamilton'schen Gleichungen in den Variablen und von , d.h. und , gültig sind, also die Hamilton'schen Gleichungen zu H aus jenen zu automatisch folgen. Dass dies tatsächlich der Fall ist, wird nun gezeigt. Betrachten wir zunächst die Gleichung
die nach Ausführen der partiellen Differenziation nach
erwartungsgemäß Folgendes ergibt:
wobei wir hier wieder
und die Definition
verwendet haben. Genauso können wir Folgendes nachrechnen:
D.h. beide Hamilton'sche Gleichungen für können
friedlich koexistieren. Bei der Hamilton'schen Gleichungen bzgl. ,
d.h.
erhalten wir durch Ausführen der partiellen Differenziation nach q
den folgenden Ausdruck:
Wegen
resultiert daraus somit .
Rechnen wir jetzt noch
aus:
dann kommen wir wirklich zum Schluss, dass aus der Hamilton'schen
Gleichung
automatisch auch die Gültigkeit der Gleichung
folgen muss.
Auch dies lässt sich wieder sehr leicht am Beispiel des Federpendels nachvollziehen. Hierzu gehen wir von der Hamiltonfunktion aus. Die Hamilton'sche Gleichung für lautet dann:
während sie für etwas komplizierter
wirkt:
wobei zusätzlich noch
gilt, so dass hieraus tatsächlich wieder die Hamilton'sche Gleichung
für resultiert:
Kanonische Transformationen
Bei der Hamiltonfunktion betrachten wir die verallgemeinerte Koordinate und den kanonischen Impuls als voneinander unabhängige Koordinaten. Existiere nun neben den Koordinaten q und zusätzlich noch ein zweites Paar Q und , dann stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang zwischen den beiden Hamiltonfunktionen und , die beide dasselbe System beschreiben sollen. Gehen die beiden Koordinatenpaare durch eine Transformation auseinander hervor (von der wir also vorerst annehmen werden, dass sie nicht explizit von der Zeit abhängt), dann erscheint folgender Zusammenhang zwischen den zwei Hamiltonfunktionen sinnvoll, wenn beide Funktionen dasselbe System, d.h. dieselbe Physik, beschreiben sollen:
bzw. natürlich auch umgekehrt
Genauso wie wir in der Lagrange'schen Mechanik solche Koordinatentransformationen
gefunden haben, die es ermöglichen, dass die transformierte Lagrangefunktion
wieder die Euler-Lagrange-Gleichung (diesmal jedoch in den neuen Koordinaten)
erfüllt, also die Transformationen die Form der Euler-Lagrange-Gleichung
unverändert gelassen haben, suchen wir jetzt nach den Bedingungen
für die oben genannte Transformation, die entsprechendes für die Hamilton'schen
Gleichungen ermöglicht. Wir verlange jetzt also, dass die Hamilton'schen
Gleichungen für das Koordinatenpaar
und die Hamiltonfunktion H, d.h.
und nach
der Koordinatentransformation in die kanonischen Gleichungen
und
für das Koordinatenpaar und
die transformierte Hamiltonfunktion übergehen
(wir verzichten hier auf das Einbeziehen einer Nicht-Potenzialkraft
f). Die totale Zeitableitung von
ergibt daher
was durch Koeffizientenvergleich auf das Gleichungspaar
führt. Selbstverständlich können wir auch die totale Zeitableitung
von betrachten:
woraus erneut durch Koeffizientenvergleich ein Gleichungspaar
resultiert. Das letztere Gleichungspaar stellt die Umkehrung des Ersteren
dar, ist also mit diesem verträglich. Die beiden Gleichungspaare repräsentieren
die gesuchten Bedingungen an die Koordinatentransformation, die die
Form der kanonischen Gleichungen nicht verändern soll. Eine solche
Transformation nennt sich "kanonische Transformation".
Die Hamilton'schen Gleichungen werden z.B. für die Koordinaten oft gerne mittels der sog. "Poissonklammer",
ausgedrückt:
Diese Gleichungen sind interesanterweise auch noch gültig, wenn wir
sie mit Hilfe der Poissonklammer bzgl. der Variablen ,
d.h.
formulieren:
wobei wir von den kanonischen Gleichungen in den Variablen ,
d.h.
und ,
und Gebrauch gemacht haben. Abkürzend können
wir also für die Hamilton'schen Gleichungen
und schreiben.
Mittels Poissonklammer lassen sich zudem die Bedingungen für eine kanonische Transformation kurz und prägnant darstellen: In der folgenden Poissonklammer können wegen der Gleichungen und für eine kanonische Transformation z.B. die Differenziale von Q ersetzt werden:
Wenn in dieser Poissonklammer zusätzlich noch die Differenziale von
mit Hilfe der Gleichungen
und
für eine kanonische Transformation substituiert werden, ergibt sich
Für die verallgemeinerten Koordinaten ,
die aus den Koordinaten durch
eine kanonische Transformation hervorgehen, müssen also folgende Poissonklammer-Ausdrücke
gelten:
wobei die letzten beiden Gleichungen wegen der Eigenschaft
der Poissonklammer erfüllt sind.
Eine weitere interessante Eigenschaft der kanonischen Transformationen ist ihr Zusammenhang mit totalen Differenzialen. Die Gleichung legt z.B. folgenden Zusammenhang mit einer sog. "erzeugenden Funktion" nahe:
da dann
und
mit
gelten müssen. Eine Transformation ist also kanonisch, wenn die Differenz
von und
auf ein totales Differenzial führt. Wegen
und
ist nicht die einzig mögliche
erzeugende Funktion, sondern es existieren auch noch:
mit , was auf führt,
mit , was auf führt, und
mit , was auf führt.
Bisher haben wir bei den kanonischen Transformationen von Zeitabhängigkeiten
abgesehen, weil unser Ausgangspunkt
gewesen ist. Wenn eine expliziten Zeitabhängigkeit wie z.B. von der
Art vorhanden gewesen
wäre, hätten wir beim Bilden des totalen Zeitdifferenzials einen zusätzlichen
Term erhalten, den wir
aber beim Ausführen der Ableitung
mit nichts hätten identifizieren können. Die erzeugenden Funktionen
gestatten es aber jetzt, die Betrachtungen auch auf zeitabhängige
kanonische Transformationen auszuweiten. Hierzu setzen wir z.B.
zusätzlich noch als Funktion der Zeit an, sodass das totale Zeitdifferenzial
von folgendes ergeben muss:
Um mit irgendwas
sinnvollem identifizieren zu können, erinnern wir uns daran, dass
Hamilton- und Lagrangefunktion miteinander zusammenhängen.
Der Zusammenhang zwischen beiden Funktionen ist mathematisch gesehen übrigens von der gleichen Natur wie jener zwischen den vier erzeugenden Funktionen der kanonischen Transformationen: alle haben etwas mit totalen Differenzialen zu tun. In der einschlägigen Literatur der theoretischen Physik wird jener Zusammenhang über die sog. "Legendre-Transformation" hergestellt.
Im Kapitel über zulässige Transformationen der Lagrangefunktion haben wir eine Forderung aufgestellt, die wir jetzt erneut verwenden werden:
Hierin sind die transformierte Lagrangefunktion
L sowie M und Eichfunktionen.
Außerdem haben wir darin bereits die Geschwindigkeiten mittels der
kanonischen Impulse ersetzt, d.h.
und in Hinblick
auf die aus den Langrangefunktionen zu bildenden Hamiltonfunktionen
verwendet. Die Hamiltonfunktionen gehen ja aus den beiden Lagrangefunktionen
folgendermaßen hervor:
und
Setzen wir Letzteres in den Term
von ein, dann
erhalten wir
Hierin verwenden wir außerdem noch den oben geforderten Zusammenhang
zwischen L und der transformierten Lagragefunktion :
Die Funktion
identifizieren wir mit , da
beide von den gleichen Variablen q, Q und t abhängen:
Hieraus können wir dann also schließen, dass
gelten muss.
Aus der Tatsache, dass sich die einzelnen Transformationsgleichungen nach bestimmten Koordinaten auflösen lassen, folgern wir beispielsweise , , oder . Die somit erhaltenen Funktionen für q bzw. Q lassen sich in die Eichfunktionen M bzw. einsetzen. Es steht uns weiterhin die Option zur Verfügung, eine der beiden Eichfunktionen einfach gleich Null zu setzen. Auf diese Weise erhalten wir an Stelle von eine Funktion G, die statt von q und Q von weiteren Paaren bestehend aus einer alten und einer neuen Variable abhängen kann, woraus wir u.a. schließen dürfen, dass auch für die übrigen erzeugenden Funktionen gilt:
Wegen bzw. ist es sogar möglich, dass sich die Funktion durch eine ersetzen lässt, die von einem Paar ausschließlich aus neuen, d.h. , bzw. alten Koordinaten, d.h. , bestehend, abhängt.
In der Literatur wird oft festgestellt, dass wegen der Eichabhängigkeit der Lagrangefunktion
(evtl. allgemeiner als hier vorgeführt, da aus unserer bisherigen
Annahme folgt, dass z.B. als
Differenz
dargestellt werden kann) gilt und die Eichfunktion G eine Funktion
der unterschiedlichsten Paarungen aus alten und neuen Variablen bzw.
ausschließlich neuen (oder alten) Variablen sein darf. Diese Sichtweise
wird durch die hier angestellten Betrachtungen durchaus bestätigt.
Wieder soll uns der harmonische Oszillator als Beispiel dienen: . Am liebsten wäre uns eine Koordinatentransformation, mit der wir erreichen würden, dass die transformierte Hamiltonfunktion z.B. nicht mehr von der neuen Koordinate Q abhinge (also darin zyklisch wäre), und somit die Form annähme. Die zugehörige Hamilton'sche Gleichung für den neuen kanonischen Impuls lautete dann nämlich ganz einfach , falls die Koordinatentransformation kanonisch ist, woraus ein konstanter kanonischer Impuls resultierte. Eine solche Gestalt der Hamiltonfunktion erhalten wir mit Hilfe der Koordinatentransformation . Die bisher noch unbestimmte Funktion müssen wir aus der Bedingung für eine kanonische Transformation ermitteln, damit wir auch wieder die Hamilton'schen Gleichungen für die transformierte Hamiltonfunktion als Bewegungsgleichungen erhalten. Hierzu setzten wir die folgenden Differenziale von q und in die Poissonklammer ein:
- ,
- ,
- ,
- ,
woraus
und nach Integration
folgen. Die transformierte Hamiltonfunktion nimmt daher die einfach
Gestalt
an (wobei wir die beliebige Integrationskonstante gleich Null gesetzt
haben). Die Hamilton'sche Gleichung für Q, d.h. ,
führt somit auf , worin
eine Integrationskonstante ist. Die gefundene Lösung ist also wieder
jene für den harmonischen Oszillator:
mit dem Impuls .
Das totale Differenzial der erzeugenden Funktion lässt sich mittels , und darstellen als
Setzt man dort im ersten Summanden
sowie im zweiten Summanden
ein, dann lässt sich aus
die erzeugende Funktion
ablesen.