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Lektion 3 - Grammatik

Verben

Präteritum - Verbklassen

In dieser Lektion lernen wir die Vergangenheitsform kennen. Die gute Nachricht ist, dass das Gotische nur 2 Tempora (Zeiten) kennt: Präsens (Gegenwart) und Präteritum (Vergangenheit). Ein Futur gibt es nicht. Es wird meist durch das Präsens ersetzt, ähnlich wie in der dt. Umgangssprache (Morgen gehe ich ins Kino), aber auch in einigen Fällen durch Hilfsverben. Die schlechte Nachricht ist, dass die Vergangheitsform sehr komplex ist. Die starken Verben bilden die Vergangenheit durch Ablautregeln (wie z. B. im dt. singen - sang - gesungen), die schwachen Verben durch einen Präteritumssuffix (wie z. B. im dt. leben - lebten - gelebt). Daneben gibt es noch einige unregelmäßige Verben.
In dieser Lektion interessieren uns nur die starken Verben. Diese unterteilt man wiederum in ablautende, reduplizierende und reduplizierend-ablautende Verben. Diese werden in folgende 8 Kategorien eingeteilt:

1. Präsensstamm -ei-

I. Ablautreihe: ei - ái - i - ?

In diese Kategorie fallen Verben mit dem Stammvokal -ei-, z. B. beitan oder beidan. Der dritte Ablaut ist der des Partizips, auf den wir später zurückkommen werden. Auf den Akzent wird im folgenden verzichtet. Im Auslaut wird auch hier t zu þ.

beitanPräsensSingularPlural
3. Personbeitiþbaiþbitun
Übersetzunger beißter bisssie bissen

Diese Ablautreihe entspricht dem deutschen ei - i(e) - i(e), z. B. treiben - trieb - getrieben. Beachte: Vor h/ƕ wird aus -i- ein -ái-: leiƕan - laiƕ - laiƕun.

2. Präsensstamm -iu-

II. Ablautreihe: iu - áu - u - ?

In diese Kategorie fallen Verben mit dem Stamm -iu-, wie siukan.

siukanPräsensSingularPlural
3. Personsiukiþsauksukun
Übersetzunger erkrankter erkranktesie erkrankten

Diese Ablautreihe entspricht dem deutschen ü / eu - o - o, z. B. beugen - bog - gebogen oder lügen - log - gelogen. Beachte: Auch hier bleibt der zweite Ablaut vor h/ƕ gleich: tiuhan - táuh - taúhun.

3. Präsensstamm -in-, -il-, -aír-

III. Ablautreihe: i/aí - a - u/aú - ?

In diese Kategorie fallen Verben mit dem Stammvokal -i- oder -aí-, meist gefolgt von einem Doppelkonsonanten. Eine eindeutige Zuordung ist hier aber nicht gegeben, da z. B. stilan "stehlen" zur 4. Klasse gehört. Zu dieser Kategorie gehören: finþan, drigkan (beachte die Aussprache "dring-kan"), hilpan

finþanPräsensSingularPlural
3. Personfinþiþfafunþun
Übersetzunger findeter fandsie fanden

Diese Ablautreihe entspricht dem deutschen i-a-u, z. B. finden - fand - gefunden.

4. Präsensstamm -i-/-aí-

IV. Ablautreihe: i/aí - a - e - ?

Diese Klasse teilt sich die -i-/-aí-Verben mit der 3. und der 5. Klasse. Entsprechend muss die Zugehörigkeit gelernt werden. Zu dieser Klasse gehören: bairan, qiman, Ausnahme: trudan (treten)

qimanPräsensSingularPlural
3. Personqimiþqamqemun
Übersetzunger kommter kamsie kamen

Die deutsche Entsprechung ist die Ablautreihe e - a - o, z. B. nehmen - nahm - genommen.

5. Präsensstamm -i-/-aí-

V. Ablautreihe: i/aí - a - e - ?

Diese Klasse unterscheidet sich von der IV. Ablautreihe nur durch den dritten Ablaut. Hierher gehören die Verben: giban, itan, ligan, qiþan, saiƕan, diwan

gibanPräsensSingularPlural
3. Persongibiþgafgebun
Übersetzunger gibter gabsie gaben

Die deutsche Entsprechung ist die Ablautreihe e - a - e, z. B. legen - lag - gelegen. Beachte: Die Form von itan ist unregelmäßig: itiþ - et - etun.

6. Präsensstamm -a-

VI. Ablautreihe: a - o - o - ?

Zu dieser Gruppe gehören die meisten Verben mit dem Stammvokal -a-, wie z. B. slahan, faran, standan

slahanPräsensSingularPlural
3. Personslahiþslohslohun
Übersetzunger schlägter schlugsie schlugen

Diese Ablautreihe entspricht dem deutschen a - u - a, fahren - fuhr - gefahren. Beachte: standan ist wie im Deutschen unregelmäßig: standiþ - stoþ - stoþun.

7. Reduplizierende Verben

Die Vergangenheitsbildung dieser Verbklasse ist im heutigen Deutsch unbekannt, allerdings in anderen idg. Sprachen, z. B. Altgriechisch, belegt. Hierbei wird dem Stamm eine -aí--Vorsilbe hinzugefügt. Der erste Laut oder die ersten beiden Laute (bei st, sk, sp) des Wortstamms wird/werden redupliziert, d. h. wiederholt bzw. verdoppelt, und vor dem Vokal -aí- gesetzt. In Formeln ausgedrückt bedeutet dies (K = Konsonant; V = Vokal):

Aus K1VK2- wird K1aíK1VK2-

Beginnt der Stamm mit einem Vokal, so wird nur ein Aí- davorgesetzt. Zu dieser Klasse gehören: gaggan, slepan

slepanPräsensSingularPlural
3. Personslepiþsaislep*saislepun
Übersetzunger schläfter schliefsie schliefen

Die deutsche Entsprechung ist die Ablautreihe V1 (meist a) - ie - V1 (meist a), z. B. fangen - fing - gefangen. Im Übrigen soll die Unregelmäßigkeit von tun - tat - getan ein Überbleibsel der Reduplikation sein. Die Vergangenheitsform von gaggan war wahrscheinlich unregelmäßig (siehe unten).

*saislep ist auch als saizlep belegt, vermutlich wird ein s stimmhaft, wenn es zwischen zwei stimmhaften Lauten ist

8. Reduplizierend-ablautende Verben

VII. Ablautreihe: e/ai - o - o - ?

Die Verben dieser Klasse haben den Stammvokal -e-, z. B. tekan. Endet der Wortstamm auf einen Vokal, so wird aus dem -e- ein -ai-, z. B. saian.

tecanPräsensSingularPlural
3. Persontekiþtaitoktaitokun
Übersetzunger berühter berühtesie berühten

Im Deutschen entspricht dies derselben Ablautreihe wie der 7. Klasse, wie z. B. lassen - ließ - gelassen.

Präteritum - Bildung (stark)

Das Präteritum der starken Verben wird im Gotischen mit dem sog. Themavokal "u" gebildet:

qimanSingularPlural
1. Personik qam
ich kam
weis qemum
wir kamen
2. Personþu qamt
du kamst
jus qem
ihr kamt
3. Personis qam
er kam
eis qemun
sie kamen

Das Fehlen eines Zwischenvokals in der 2. P. S. "qamt" führt zu folgenden Unregelmäßigkeiten:

-bt wird zu -ft: giban - þu gaft du gabst
-dt wird zu -st: trudan - þu trast du tratst
-þt wird zu -st: finþan - þu fanst du fandst
-tt wird zu -st: beitan - þu baist du bisst

"sein"

Wisan wird regelmäßig mit der IV. Ablautreihe konjugiert.

wisanSingularPlural
1. Personik was
ich war
weis wesum
wir waren
2. Personþu wast
du warst
jus wesuþ
ihr wart
3. Personis was
er war
eis wesun
sie waren

Substantive

Schwache Deklination

Ähnlich wie im Deutschen hat auch das Gotische eine starke und eine schwache Deklination (vgl. "Ich sehe den Rauch (mask. stark)" und "Ich sehe den Menschen (mask. schwach)").

Schwach Maskulin

Schwach maskuline Nomen enden gewöhnlich auf -a, z. B. Guta "Gote":

GutaSingularPlural
NominativSa Gutaþai Gutans
Genitivþis Gutinsþize Gutane
Dativþamma Gutinþaim Gutam
Akkusativþana Gutanþans Gutans
VokativGuta-

Schwach Neutrum

Schwach neutrale Nomen enden gewöhnlich auf -o, z. B. augo "Auge". Die Endungen stimmen im Genitiv und Dativ wieder mit denen des Maskulin überein.

augoSingularPlural
Nominativþata augoþo augona
Genitivþis auginsþize augane
Dativþamma auginþaim augam
Akkusativþata augoþo augona
Vokativaugo-

Schwach feminin

Die schwach feminine Deklination entspricht der des Maskulinum, jedoch mit dem Unterschied, dass jeder Vokale durch ein "o" ersetzt wurde. Die Nomen enden auf -o, z. B. tuggo "Zunge":

tuggoSingularPlural
Nominativso tuggoþos tuggons
Genitivþizos tuggonsþizo tuggono
Dativþizai tuggonþaim tuggom
Akkusativþo tuggonþos tuggons
Vokativtuggo-

Adjektive

Schwache Deklination

Auch Adjektive können schwach dekliniert werden, allerdings haben Sie zum Glück dieselben Endungen wie ein schwach-dekliniertes Nomen und müssen deshalb nicht neu gelernt werden. Die schwache Adjektivdeklination wird hauptsächlich nach den Artikel/Demonstrativpronomen angewandt und hat im Übrigen nichts mit der schwachen Substantivdeklination zu tun. D. h.: Ob das Nomen schwach oder stark ist, spielt hier keine Rolle. Steht das Adjektiv nach dem Substantiv oder wird prädikativ gebraucht, so wird es i. d. R. stark dekliniert. Im Deutschen gibt es diese Form ebenfalls: "ein netter Mann" - "der nette Mann".

Kasusmaskulinneutrumfeminin
Sg. NominativSa jugga wulfsþata juggo huzdSo juggo giba
Genitivþis juggins wulfisþis juggins huzdisþizos juggons gibos
Dativþamma juggin wulfaþamma juggin huzdaþizai juggon gibai
Akkusativþana juggan wulfþata juggo huzdþo juggon giba
Pl. Nominativþai juggans wulfosþo juggona huzdaþos juggons gibos
Genitivþize juggane wulfeþize juggane huzdeþizo juggono gibo
Dativþaim juggam wulfamþaim juggam huzdamþaim juggom gibom
Akkusativþans juggans wulfansþo juggona huzdaþos juggons gibos

Sinn dieser Deklination ist es, Dopplungen zu vermeiden: Aus "þos mikilos wardos" wird "þos mikilons wardos" (die großen Wächterinnen).

Satz

Verneinung

Die einfache Verneinung erfolgt mit dem Wort ni "nicht", das man vor dem Verb platziert:

Sa wulfs beitiþ þana hund. Der Wolf beißt den Hund
Sa wulfs ni beitiþ þana hund. Der Wolf beißt den Hund nicht.
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